Das Zivilverfahren vor tschechischen Gerichten kann für viele eine große Unbekannte darstellen, insbesondere für ausländische Privatpersonen und Unternehmen, die kein Tschechisch sprechen. Dieser kurze Leitfaden erläutert den Aufbau der tschechischen Gerichtsorganisation und die Grundregeln des Zivilverfahrens in der Tschechischen Republik mit besonderem Augenmerk darauf, was (nicht nur) ausländische Parteien und Zeugen wissen sollten, wenn sie vor einem tschechischen Zivilgericht auftreten.
Was gilt als Zivilverfahren?
Unter Zivilverfahren versteht man Streitigkeiten zwischen Privatpersonen oder Unternehmen. Es handelt sich dabei nicht um Streitigkeiten mit dem Staat, wenn dieser in seiner hoheitlichen Funktion handelt. Tritt der Staat jedoch als Zivilrechtssubjekt auf – beispielsweise als Verkäufer – und besitzt er keine hoheitliche Stellung, ist er Prozesspartei mit gleichen Rechten und Pflichten.
Typische Beispiele sind Vertragsstreitigkeiten wie die Durchsetzung von Zahlungsansprüchen, Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit einer Kündigung eines Mietvertrages, aber auch die Geltendmachung anderer Ansprüche wie Schadensersatz oder Eigentumsstreitigkeiten über Grundstücke.
Die tschechische Gerichtsorganisation im Zivilverfahren
Die tschechische Gerichtsbarkeit ist im Zivilverfahren vierstufig aufgebaut. Die Instanzen sind – von der niedrigsten bis zur höchsten Instanz – wie folgt:
- Bezirksgerichte (CZ: Okresní soudy) – Grundstein der tschechischen Gerichtsbarkeit. Sie entscheiden in erster Instanz über die meisten Zivilsachen.
- Kreisgerichte (CZ: Krajské soudy) – Zweite Instanz für Berufungen gegen Urteile der Bezirksgerichte. In einigen spezialisierten Angelegenheiten (z. B. bestimmte Handels- und Gesellschaftsstreitigkeiten) entscheiden sie als erste Instanz.
- Obergerichte (CZ: Vrchní soudy) – Es gibt zwei (in Prag und Olomouc). Sie sind Berufungsinstanz für Verfahren, die in erster Instanz von den Regionalgerichten entschieden wurden.
- Oberster Gerichtshof (CZ: Nejvyšší soud) – Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit Sitz in Brünn. Er entscheidet über außerordentliche Rechtsmittel – Revision (CZ: Dovolání) – gegen Entscheidungen der Berufungsgerichte und sorgt für eine einheitliche Auslegung der Gesetze (vereinheitlicht die Rechtsprechung).
(Außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit steht das Verfassungsgericht. Dieses schützt die Verfassung, entscheidet über Verfassungsbeschwerden oder die Aufhebung von Gesetzen – in gewöhnlichen Zivilstreitigkeiten kommt ein ausländisches Subjekt in der Regel nicht mit ihm in Berührung.)
Typischer Ablauf eines Zivilverfahrens
Mit Ausnahme bestimmter sog. „nichtstreitiger“ Angelegenheiten beginnt jedes Verfahren mit einem Antrag – meist in Form einer Klage beim zuständigen Gericht. Welches Gericht zuständig ist, hängt von mehreren Faktoren ab, die je nach Fall variieren. Zunächst ist zu klären, ob die Sache in die Zuständigkeit des Bezirks- oder Kreisgerichts fällt. Das konkrete zuständige Gericht wird dann in der Regel nach dem Wohnsitz oder Sitz des Beklagten bestimmt. Es gibt jedoch gesetzliche Sonderregelungen im tschechischen Zivilprozessgesetzbuch.
Der Kläger kann beantragen, dass das Gericht eine einstweilige Verfügung erlässt – eine vorläufige Maßnahme zum Schutz der Rechte der Parteien bis zur Entscheidung in der Sache. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sind allerdings sehr streng.
Ist die Klage vollständig, fordert das Gericht den Kläger zur Zahlung der Gerichtsgebühr auf. Ohne fristgerechte Zahlung wird das Verfahren eingestellt. Wird es aus diesem Grund eingestellt, kann die Klage zwar erneut eingereicht werden, die Wirkungen treten jedoch erst mit Einreichung der neuen Klage ein.
Das Gericht stellt die Klage dem Beklagten zu und fordert ihn zur Stellungnahme auf. Achtung: Das Gericht kann eine sog. qualifizierte Aufforderung erlassen. Reagiert der Beklagte nicht fristgerecht, gilt der geltend gemachte Anspruch als anerkannt und das Gericht erlässt ein Anerkenntnisurteil („Versäumnisurteil“). Hiergegen kann nur eingewendet werden, dass die Voraussetzungen für den Erlass nicht erfüllt waren (z. B. fristgerechte Erwiderung oder Entschuldigung wegen wichtiger Gründe), nicht jedoch, dass der Anspruch materiell unbegründet sei.
Da im Zivilverfahren der Mündlichkeitsgrundsatz gilt, wird das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen. Gerichtsverhandlungen sind grundsätzlich öffentlich – jedermann (einschließlich Medienvertreter) kann sie von den Besucherplätzen aus verfolgen. Der Zweck ist die Kontrolle der Rechtspflege. Das Gericht kann die Öffentlichkeit jedoch ausnahmsweise ausschließen (z. B. zum Schutz Minderjähriger oder bei geheimen Tatsachen).
In der Verhandlung erhebt das Gericht Beweise, verhört Zeugen, verliest Urkunden und Gutachten und hört die Argumente beider Parteien an. Kläger und Beklagter können nicht unbegrenzt neue Beweise vorlegen – in der Regel schließt das Gericht am Ende der ersten Verhandlung die Beweisaufnahme, neue Beweise sind nur ausnahmsweise zulässig, vor allem dann, wenn sie bereits erhobene Beweise widerlegen sollen.
Beide Parteien haben das Recht, persönlich oder durch ihren Rechtsanwalt anwesend zu sein, Beweisanträge zu stellen, sich zu Beweisen zu äußern und Zeugen zu befragen. Ausländische Parteien haben die gleichen Rechte wie tschechische Bürger. In der Praxis ist für sie die Vertretung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt jedoch besonders wichtig – vor allem, wenn sie die tschechische Sprache oder das tschechische Recht nicht beherrschen. Sie haben zwar Anspruch auf einen Dolmetscher in der Verhandlung, das Gericht muss ihnen jedoch Klageschriften oder Dokumente nicht übersetzen.
Am Ende verkündet das Gericht sein Urteil, das es in der Regel innerhalb von 30 Tagen samt Begründung schriftlich anfertigt.
Wird das Urteil nicht schon in der ersten Verhandlung verkündet, wird der Termin vertagt. Die Dauer des gesamten Verfahrens hängt von der Komplexität und der Auslastung des Gerichts ab – von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren.
Gegen Urteile der ersten Instanz ist in den meisten Fällen Berufung bei der zweiten Instanz möglich.
Verhandlungssprache und Dolmetschen
Die offizielle Gerichtssprache vor tschechischen Gerichten ist stets Tschechisch. Ausländische Privatpersonen und Unternehmen, die der tschechischen Sprache nicht mächtig sind, haben jedoch kraft Gesetzes in der Verhandlung Anspruch auf einen Gerichtsdolmetscher. Das Gericht bestellt den Dolmetscher; die Kosten hierfür trägt in der Regel zunächst die Partei, die den Dolmetscher benötigt, und im Ergebnis diejenige Partei, die den Prozess verliert.
Worauf sollte man vorbereitet sein:
- Schriftliche Unterlagen, die eine Partei dem Gericht in einer Fremdsprache vorlegt, müssen ins Tschechische übersetzt werden – häufig als beglaubigte Übersetzung durch einen vereidigten Gerichtsdolmetscher.
- Ein Gerichtsdolmetscher muss in das offizielle Dolmetscherverzeichnis des Justizministeriums der Tschechischen Republik eingetragen sein (es handelt sich um qualifizierte Dolmetscher mit besonderer Zulassung).
- Das Dolmetschen während einer Gerichtsverhandlung kann simultan (zeitgleich mit der Rede) oder konsekutiv (mit Pausen für die Übersetzung) erfolgen – abhängig von den Umständen und der Entscheidung des Gerichts.
Die Rolle des Rechtsanwalts im Gerichtsverfahren
Obwohl das Gesetz in vielen Fällen keine zwingende anwaltliche Vertretung vorschreibt (es gibt jedoch den sog. Anwaltszwang in bestimmten Verfahren, z. B. im Revisionsverfahren, bei Kassationsbeschwerden oder vor dem Verfassungsgericht), ist die Unterstützung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt ein erheblicher Vorteil. Ein qualifizierter Anwalt übernimmt für Sie eine Vielzahl zentraler Aufgaben (von der Kommunikation mit dem Gericht bis hin zur aktiven Durchsetzung Ihrer Ansprüche) und kann Ihre Erfolgsaussichten im Prozess deutlich erhöhen.
Die wichtigsten Vorteile anwaltlicher Vertretung:
- Kommunikation mit dem Gericht: Der Anwalt vertritt Sie professionell gegenüber den Justizbehörden, überbrückt Sprachbarrieren und präsentiert Ihre Position sachlich und überzeugend. Gerichte schätzen es, wenn Parteien durch juristische Fachleute vertreten sind, was zu einem reibungsloseren Verfahrensablauf beiträgt. Ein weiterer Vorteil: Zustellungen erfolgen direkt in das elektronische Datenpostfach des Anwalts, statt umständlich an die Wohn- oder Unternehmensadresse des Mandanten – was insbesondere für ausländische Parteien entscheidend ist.
- Erstellung von Schriftsätzen: Der Anwalt fertigt Klagen, Berufungen und sonstige Anträge so an, dass sie sämtliche formalen Anforderungen erfüllen und die Erfolgschancen maximieren. Das Recht ist wie allgemein bekannt stark formalistisch; schon ein kleiner Formfehler kann den Fortgang des Verfahrens gefährden oder verzögern.
- Beweisführung und Wahrung Ihrer Rechte: Ein erfahrener Anwalt weiß, welche Beweise vorzulegen sind, und stellt sicher, dass diese im Verfahren bestmöglich berücksichtigt werden. Laien übersehen leicht etwa die Einrede der Verjährung eines gegnerischen Anspruchs. Das Gericht weist eine Partei hierauf nicht von sich aus hin. Der Anwalt überwacht solche Punkte und berücksichtigt sie in seiner Prozessstrategie.
- Orientierung im Verfahren: Der Anwalt führt Sie durch das gesamte Verfahren, erläutert Ihnen jeden Schritt verständlich und weist Sie rechtzeitig auf Ihre Pflichten hin, damit Sie jederzeit wissen, was geschieht, und fundierte Entscheidungen treffen können (die letzte Entscheidung über die Prozessstrategie und Einzelfragen liegt selbstverständlich stets beim Mandanten). Da sich Laien im Zivilprozess nur schwer zurechtfinden, lohnt sich fast immer die Beauftragung eines Fachmanns. Ein erfahrener Rechtsanwalt kann zudem den Ablauf effizienter gestalten und Verzögerungen minimieren.
Es überrascht daher nicht, dass sich Parteien vor tschechischen Gerichten fast immer auf die Unterstützung erfahrener Anwälte verlassen – im Idealfall auf solche, die die Muttersprache des Mandanten sprechen. Unsere Kanzlei gehört in Tschechien zu den führenden Spezialisten für die Vertretung deutschsprachiger Mandanten, wodurch eine reibungslose Kommunikation mit Behörden und Gerichten sowie der bestmögliche Schutz Ihrer Rechte und Interessen gewährleistet ist.
Der tschechische „Advokátní tarif“ (DE: Anwaltstarif) – Wie wird die Vergütung des Rechtsanwalts festgelegt?
In der Regel vereinbaren Anwalt und Mandant die Vergütung vertraglich – beispielsweise als Stundenhonorar oder als Pauschalbetrag für die Bearbeitung der gesamten Angelegenheit.
Daneben gibt es den sog. Advokátní tarif (DE: Anwaltstarif), eine Verordnung des tschechischen Justizministeriums, die die Höhe der Vergütung für standardisierte anwaltliche Leistungen festlegt. Dieser Tarif kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn keine vertragliche Vergütung vereinbart wurde, oder der Anwalt vom Gericht bestellt wird und seine Vergütung vom Staat getragen wird.
Auch für die Berechnung der Kostenerstattung an die obsiegende Partei wird der Tarif herangezogen: Das Gericht spricht der siegreichen Partei regelmäßig die Erstattung der Anwaltskosten durch die unterlegene Partei zu, wobei die Höhe dieser Erstattung nach dem Tarif berechnet wird.
Der Tarif listet die einzelnen anwaltlichen Tätigkeiten (z. B. Übernahme und Vorbereitung des Mandats, Abfassung eines Schriftsatzes an das Gericht, Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung) auf und ordnet ihnen feste Gebührensätze zu – in der Regel gestaffelt nach Streitwert oder Art des Verfahrens. Wird die Vergütung nicht im Voraus vertraglich vereinbart, gelten diese Tarifsätze als außervertragliche Vergütung. Für den Mandanten bedeutet dies: Er erhält eine klare Vorstellung der möglichen Kosten für die anwaltliche Tätigkeit. Im Erfolgsfall kann er vom Gegner die Erstattung dieser Kosten verlangen – allerdings ausschließlich in Höhe der nach dem Tarif berechneten Sätze (es ist nicht möglich, dem Gericht oder der Gegenseite einfach die Anwaltsrechnung vorzulegen und deren vollständige Erstattung zu verlangen).
Zu den Zivilverfahren zählen auch weitere Angelegenheiten, wie beispielsweise Nachlassverfahren oder Entscheidungen in familienrechtlichen Angelegenheiten – diese Verfahren unterliegen jedoch anderen Grundsätzen als das sog. streitige Zivilverfahren. Doch dazu mehr in einer der nächsten Ausgaben.
Fazit
Einen kompetenten Rechtsanwalt an seiner Seite zu haben, bedeutet in einem Rechtsstreit einen erheblichen Vorteil. Ein Anwalt sorgt für die fachgerechte Führung Ihres Falles und wahrt Ihre Interessen bestmöglich. Professionelle Rechtsberatung hilft Ihnen, das für Sie günstigste Ergebnis zu erreichen – bei gleichzeitigem maximalem Schutz Ihrer Rechte.
Unsere Kanzlei steht Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung – sowohl tschechischen Mandanten als auch deutsch- und englischsprachigen Mandanten.
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JUDr. Jiří Janoušek | Rechtsanwalt